St. John – unser Retter in Not

Und dann kam der Regen. Die ganzen Wochen davor fiel kein einziges Tröpfchen Wasser vom Himmel und auch wenn graue Wolkendecken das Blau überschatteten, so kam immer noch die Sonne durch und malte uns rot an.
Bong hatte uns schon vorgewarnt, bevor er sich auf den Heimweg machte. „Es wird regnen, Mädels.“, meinte er besorgt. „Ach was. Wir haben das Zelt in deinem Laden gekauft. Da muss es doch was aushalten können!“, lachten wir unbekümmert.

Die Regenhaut hatten wir diese Nacht nicht über das Moskitonetz gespannt – wir hatten keine versteckte Stelle gefunden und wollten mit der orangenen Plane kein Aufsehen erregen. Doch richtig schlafen konnten wir nicht. Starke Böen fuhren durch das Netz, drückten die Zeltstangen nieder und bauschten unsere Schlafsäcke auf. Um 5 Uhr Früh, als die mächtigen Wolken über uns, die der Wind herangetrieben hatte, von schwarz in grau übergingen, entschlossen wir, zusammen zu packen. So gut es ging kämpften wir gegen den Sturm an, knödelten das Zelt irgendwie zusammen und stopften es in seine Verpackung. Dann fielen die ersten Tropfen. Dick und schwer kamen sie zur Erde, zerplatzen auf unseren Gesichtern und hinterließen feuerwerksförmige Kleckse auf der Haut.

Kaum hatten wir es auf den Marktplatz geschafft und uns untergestellt, war es vorbei mit den lustigen Tröpfchen und heftige Windstöße peitschten eine Mauer aus Regen an uns vorbei.

Was macht man, um halb 6 Uhr Morgens, übermüdet und besorgt, vom Regen eingesperrt? – Man wird gerettet. Von St. John, dem neuseeländischen Roten Kreuz. Beziehungsweise von einem älteren Herren, der sich gerade seinen Morgenkaffee in dem Geschäft holte, vor dem wir bedröppelt saßen. Er nahm uns mit, über die Straße, vorbei an Regenschirmen, hinein in die gute Stube. Zwei Krankenschwestern saßen dort im Warteraum, das aussah wie ein Wohnzimmer. Der Boden war mit rotem Teppich überzogen, an der Wand standen Polstersessel und Kanapees, darüber zierten Fotos, Medaillen und eingerahmte Urkunden die holzverkleideten Wände, der Fernseher in der Ecke spielte uns das neuseeländische Frühstücksfernsehen vor, die zwei Damen saßen am Tisch und lösten Kreuzworträtsel. Es gab eine kleine Küche und den Behandlungsraum. Die Tür zur Küche stand offen, die zum Krankenzimmer war stets verschlossen und ihre Glasscheiben mit Rüschchenvorhängen verdeckt. Der Herr übergab uns und verschwand. Wie nasse Straßenköder standen wir im Raum und tropften langsam den Teppichboden mit Regenwasser voll. „Zieht euch erst mal aus – hier habt ihr´s wenigstens trocken.“, sagten die Damen.
Bei einer heißen Tasse Tee erzählten wir unsere Geschichte, wie wir umherziehen, wie wir uns treiben lassen, wie wir dieses Land lieben lernen – und wie und die Schlafplatzsuche heute verzweifeln wird.

Warum wir uns nicht einfach eine Unterkunft nähmen, fragten die Damen erstaunt – und viele von euch werden sie dasselbe das ein oder andere Mal auch schon gefragt haben.

Weil wir das Land und seine Leute kennenlernen und nicht auf unsere Landsleute und heimtypische Saufgelage treffen wollen. Wir meiden Hostels, um Deutsche zu meiden, die ja mehr als verbreitet in Neuseeland rumlungern. Wir waren ja schließlich das lebende Beispiel dafür. Wir meiden Hostels, weil es abenteuerlicher ist, unter dem Himmelszelt zu schlafen und den Lauf der Sterne zu beobachten. Wir meiden Hostels, weil wir sie nicht unbedingt für uns als notwendig empfinden. Wir meiden Hostels, um ungebundener zu sein.

Als es Nachmittag wurde, hatten wir immer noch keine Lösung für unsere alltägliche Aufgabe gefunden. Das St. John war kurz vor seinem Ladenschluss, die Krankenschwestern in Aufbruchsstimmung, Rani und ich frustriert. Wir fragten eine der Damen, ob sie uns ein Stück mitnehmen könne, um bei dem Regen nicht trampen zu müssen – raus aus der Stadt war immer besser für einen Zeltplatz und vielleicht, so hofften wir, hing die Wolke ja nur über Waihi fest. Als wir auf freier Strecke mit 30 dahingurkten, rüttelte der Wind höchstpersönlich an den blechernen Autotüren, pfiff übers Dach und sauste durch den Auspuff in den Innenraum. Die Luft war gewichen, so schien es, und Wasser hatte sie ersetzt. Man sah nichts als Grau. Der Wetterbericht im Radio sagte Sturmböen für die nächsten drei Tage voraus und gab eine Wetterwarnung für die Coromandel heraus. Wir waren gefangen.

An diesem Tag mussten wir das erste Mal die Gastfreundschaft ausschlagen und das Angebot der Krankenschwester, bei ihr die Nacht zu bleiben, verneinen. Denn ob heute oder morgen – in irgendeinem Regenwetter mussten wir uns sowieso nach einem Zeltplatz umsehen. Sie schenkte uns einen Sack voll Pflaumen und ließ uns an einem Rastplatz, direkt neben dem Highway, der nach Rotorua führte, raus. Es gab einen Picknickplatz, dessen Holzbänke nur so trieften, ein kleiner Bach toste parallel zur Straße vorbei und schwoll von Tag zu Tag, ein paar Bäume boten Unterschlupf. Wir beeilten uns, das Zelt aufzuschlagen, schmissen unsere durchnässten Rucksäcke rein und krochen erschöpft nach. Das war also unsere Bleibe, bis der Regen nachließ.