Medea

Somewhere on the Ocean…

Der Kutter war nicht von besonderer Größe, aber auch nicht gerade klein. Es war aus robustem Holz gebogen, Adam´s eigener Stolz und auf den Namen „Medea“ getauft (hat ein Schiff keinen Namen, bringt es nämlich großes Seemannsunglück). Es war grün angestrichen und schon seit 30 Jahren im Geschäft. Ausgebaut war es für genau 5 Personen. Wir aber waren zu sechst – so wich Campbell zum Schlafen auf die Küchenbank aus. Wie er dort, ohne runter zu kullern, ruhen konnte, ist mir bis heute ein Rätsel. Rani und ich erzählten uns jeden Morgen, wie oft wir in der Nacht den Traum gehabt hätten, in einer Achterbahn zu sitzen. Nachts wurde das Boot nämlich vom Computer gesteuert und nicht wie sonst von Adam sanft um gefährliche Wellen gelenkt. Wurde das Schiff also unvorhersehbar von einem Brecher frontal gepackt, flog man regelrecht gegen seine eigene Gewichtskraft nach oben, blieb für eine winzige Weile in der Schwebe, bevor man wieder brutal nach unten gestürzt wurde – das alles ging so schnell von statten, dass der Magen erst einem Moment später herunterplumpste und dir so nach und nach ein tiefes Loch in den Bauch hämmerte.

Unsere sichersten Plätze waren unsere Hochbetten (wobei die Orangen, die wir noch von Bruce hatten und die ich achtungslos in den Wandschrank neben mir gestopft hatte, dir nicht gerade ein Gefühl von Sicherheit haben, bombardierten sie dich mehrmals in der Nacht) und die Küchenbank. Zwischen diesen geschützten Orten lagen eine etwa 5 Stufen hohe und sehr steile Holzleiter und etwa 3 Meter „Gehweg“. Für diesen läppischen Abstand brauchte man aber etwa eine halbe Stunde. Auf einem schunkelndem Schiff Gleichgewicht zu halten muss etwa ähnlich aussehen, wie gerade Zugestiegene, die in der schnell anfahrenden S-Bahn gegen die Fahrtrichtung laufen – nur dass das Schiff jede mögliche Fahrtrichtung hat: Deine Beine sind mehr als hüftbreit auseinander gestellt. Der Oberkörper lehnt steif in gegensätzliche Richtung des Lagewinkels des Schiffes. Die Hände fuchteln verzweifelt im Raum herum, um nach einem fixen Gegenstand zu suchen. Der Blick ist angstvoll, konzentriert. Dann der Schritt. Ein winziges Tapsen, nach vorne gerichtet, landet aber irgendwo seitwärts, was die Beine noch mehr spreizt. Der Oberkörper biegt sich in eine neue Richtung, die Hänge ringen, das Gleichgewicht ist schwer zu finden. Schließlich auf die Bank geplumpst, versuchte ich nur das Nötigste zu machen, das mich wieder aufstehen ließ. Dazu gehörte der Klogang: Die Toilette mit zugehöriger Dusche war auf dem Außendeck, man musste von der Küchenbank durch die Türe und dann etwa drei Schritte nach links, dann hatte man es geschafft. Es war das schmalste Klo, das ich je gesehen habe, der Klodeckel war ständig nass, weil das Wasser von innen hoch spritzte, das Klopapier hing etwa zwei Meter über mir, um nicht nass zu werden und die Spülung war ein orangener Kübel, mit dem man zuvor Meereswasser schöpfen musste. Ich versuchte, so wenig Flüssigkeit wie möglich zu mir zu nehmen, um den Grauen des Kloganges zu vermeiden…

Rani und ich verbrachten also die meiste Zeit am Küchentisch, schälten Äpfel und guckten Filme, während die Männer draußen auf dem Deck arbeiteten. Ab und an flog ein Köder in den Raum, der von der Fischleine beim schnellen Einholen abgekommen war. Dann klebte er tagelang unentdeckt und verbreitete seinen Geruch. Wir hielten uns oft Orangenschalen vor die Nase, um wenigstens ein wenig Abwechslung von dem ständigen, fischigen Geruch zu bekommen. Von Tag zu Tag wurden wir mutiger (oder das Rumsitzen wurde uns zu langweilig) und erkundeten das Schiff. Wir kletterten auf das Dach der Steuerkajüte, beobachteten von dort aus die Schwärme der Delfine, die mit dem Bug mitsurften, schauten Albatrossen nach und erklommen den Schiffsmast. Wir fassten einen etwa zwei Meter großen Hai an, der aus Versehen an die Leine geriet, und als er auf dem Deck lag, anfing, Junge zu gebären. Wir entdeckten Pinguine, die eilig vom Schiff davon paddelten, bekamen Cape Reinga von der Meeres- und nicht der Landesseite gezeigt und umschifften die Three Kings Islands, um die uns jeder Kiwi später bewunderte, da kaum ein Einheimischer sie je zu Gesicht bekommt. Nur am 6. Tag blieben wir im Bett, weil eine Sturmwarnung herausgegeben wurde. Wir wurden in unserer Kajüte durchgeschüttelt und durchgerüttelt und als wir spätnachmittags doch Adam´s Rat folgten, dass es oben nur halb so schlimm sei, trauten wir uns endlich nach oben. Graue Wassermassen klatschen über die Reling, Westwinde sprühten uns die Gischt wie Regen um unsere Häupter und sogar Adam hatte es an diesem Abend nicht leicht, das Essen vorzubereiten. Während er versuchte, fast im Spagat sein Gleichgewicht zu halten, befestigte er Bleche und Töpfe mit Haken, damit sie ihm nicht davon segelten. Beim Essen kullerten die Erbsen und die Soße schwappte über, aber es schmeckte, wie jeden Abend, lecker.