“Just another day in office“
Kenny hatte mir einen Zettel hinterlassen – er musste um 3 Uhr nachts schon wieder weiterziehen. Ich hinterließ dem Housekeeping Team einen Dankeschön-Zettel – und verließ das Kiwi Motel 6 Stunden später. Heute würde ich mich auf den Forgotten World Highway trauen. ‚Forgotten World’ trifft es wohl besser als ‚Highway’. Ein stummer Farmer hatte mich bis kurz hinter Stratford gebracht. Nun stand ich an einer kleinen Wegbiegung irgendwo in der Pampa und wartete auf Verkehr. Die Straße war einspurig. Eine Schotterstraße. Aus der Richtung, aus der ich kam, lief sie schnurstracks auf mich zu. Hinter mir verlor sie sich in einer Hügelwand.
Ich setzte mich auf meinen Rucksack und zog die Mundharmonika heraus. Nach 18 missglückten Versuchen, ‚Amazing Grace’ nachzuspielen, polterte ein alter Jeep auf mich zu und blieb stehen. Ich schmiss meinen Rucksack auf die Ladefläche zu den 7 Hunden, die dort schon Platz eingenommen hatten und setzte mich auf den Beifahrersitz neben noch einen Hund, der dort auch schon thronte. Curtis, ein Schäfer, fuhr bis nach Whangamomona, etwa die Mitte der Strecke. Er fuhr die Strecke jeden Tag und auch heute war „just another day in office“, wie er lässig auf meinen Enthusiasmus der Landschaft gegenüber reagierte. Von den Hunden auf der Ladefläche hatte jeder ein Manko.
Der eine besaß nur noch ein Auge, der andere einen lahmen Fuß, der nächste nur noch ein Drittel seines Schwanzes. Rau sahen sie aus, und doch majestätisch. Sie waren die Wächter dieses Landstückes. Und das Land sah genau so aus wie sie. Wild, verwildert, forgotten. Curtis steuerte den klapprigen Jeep gekonnt um enge Kurven. Mal befand sich eine moosbewachsene Felswand direkt neben mir. Mal befand sie sich mit einem dahinplätschernden Wasserfall neben Curtis. Mal war der Hügel unter uns und wir die Könige über ein weites Land. Mal saßen wir fest in tiefen Tälern und sahen nichts als grün unendlicher Grüne nur ein paar Schritte vor, hinter und neben uns. Unendlich, unwirklich, ur. Pur. Rein. Friedlich. Es schien, als flossen mir durch meine geöffnete Kinnlade all diese Adjektive nur so zu. Und Curtis steuerte nur mechanisch den Wagen, war stumm, wie der Farmer zuvor. Ließ mich von dieser Schönheit überfluten. Ich war im Herzen Neuseelands. Und mein Herz pochte im selben Schlag wie das dieses Landes.
Und wie ich so in einer Einheit war mit diesem Stück Erde, waren die Hunde Einheit mit meinem Rucksack und pinkelten ihn lustig voll. In Whangamomona hatte ich also eine Beschäftigung, während ich auf meine nächste Fahrt wartete. Verbissen versuchte ich, die Hundepisse aus den Polstern meines Rucksackes zu reiben. Locker wie er auf der Ladefläche gelegen hatte, war er schön herumgekugelt in den Pfützen und hatte schön Zeit gehabt, sich langsam vollzusaugen. Ein alter Mann, der schon die ganze Zeit am Zaun gestanden hatte und in das Bild dieser Häuseransammlung gehörte wie eine Straßenlaterne, verschwand, nachdem er mich lange genug beobachtet hatte, in seiner blauen Haustüre. Dann kam er wieder, kam zu mir über die Straße und fing an – stumm, wie alle anderen davor – meinen Rucksack und mich mit einer großen Dose Duftspray einzuparfümieren. Dann verschwand er wieder. Stumm. Und ich bedankte mich, stumm. Jetzt stank ich nach Hundepisse und Flieder.
Aber der nächste Fahrer nahm mir das nicht übel. Und stumm war er auch nicht. Munter quasselte der dicke Maori drauf los. Während wir uns nun durch einen smaragdgrünen Dschungel schlängelten, unterhielten wir uns über Klischees, kulinarisches und Dirk Nowitzki. Frank, so hieß mein Fahrer, hatte nämlich, während er auch für das All Blacks Junior Team spielte, gegen unseren deutschen Basketball Star Körbe geworfen, da war dieser gerade mal 13 und dürr „wie Sauerkraut“ – wie Frank es verglich. Und mit diesem Gleichnis war der Zauber vorbei und wir befanden uns in Taumaranui, der Stadt am Ende des Forgotten World Highways. Ich aber werde ihn nie vergessen.