Kajak, Kanu, Coromandel
Am nächsten Tag luden wir Sabine und ihre dreibeinige Bulldogge zum Frühstücken ein. Die beiden verdrückten zusammen die gesamte Speisekarte des kleinen Lokals. Gesättigt lehnte sich Sabine schließlich zurück, die Beine weit auseinander gestellt, die Arme vor dem Bauch verschränkt. So erklärte sie uns ihre religiöse Ansicht: Zigarette, Kaffee und Klo war ihre Dreifaltigkeit. Amen.
Die Sonne brach golden durch die dicken Äste der Föhren und blitzte in tausend kleinen Strahlen auf uns herab. Es versprach ein guter Tag zu werden. Zurück am Hexenhäuschen kramte Sabine uns ein altes, quietschgelbes Kajak aus dem verstaubten Schuppen, suchte uns zwei, von der Sonne bleich gewordene Schwimmwesten und fand ein Holzpaddel, bei dem die Glasur schon absplitterte. Rani und ich schleppten das Kanu auf unseren Schultern den Flusslauf entlang bis zur Küste hinab. Das Ufer bestand aus kleinen, schwarzen Steinen, die ihre Spitzen gen Himmel ragen ließen – auf diesen hatten sich noch winzigere Muscheln angesiedelt, die ihre scharfen Gehäuse in alle Richtungen schauen ließen. Die Küste wurde zum Nagelbrett für unsere baren Fußsohlen. Wir zogen, schoben, hoben das gelbe, sperrige Ding über die schmerzenden Steine. Von oben brannte die Sonne, von unten die Sohlen, von innen die Wut…
Es handelte sich um ein Ein-Mann-Kajak. Während die eine also umherpaddeln konnte, druckste sich die andere auf den Steinen herum und versuchte vergebens, es sich bequem zu machen. Statt einem Kajakpaddel, das normalerweise an jedem Ende eine Flosse besitzt, hatte Sabine uns ein Kanupaddel mitgegeben. Man musste das Ding nach jeden Zug, den man im Wasser tat, in den Händen wechseln, um sich mit der einen Flosse gleichmäßig anzuschieben. Sonst hätte man sich ja im Kreis gedreht. Dass außerdem Ebbe war, machte uns noch dazu zu schaffen: die ersten 50 Meter staksten wir mit dem brüchigen Holzstab am harten Boden herum, um uns überhaupt fortzubewegen.
Nachdem jeder von uns etwa 2 Minuten herumgepaddelt ist, brachen wir unsere Kajaktour ab. Wir zerrten das Boot mit vereinten Kräften wieder aus dem Wasser, hievten es auf unsere Schultern und wankten damit wieder bergauf. Von oben brannte der Sonnenbrand auf unseren Schultern, von unten der schwarze Teer auf unsere empfindsamen Fußsohlen, von innen die Wut…
Von unserem ganzen Ausflug hatten wir die meiste Zeit darauf vergeudet, uns unter der Last des gelben Kajaks auf unseren roten Schultern zur Weißglut zu ärgern. Aber wie sagt man doch: Der Weg ist das Ziel.
Nach diesem missglückten Ausflug verabschiedeten wir uns von Sabine und konzentrierten uns wieder auf die Straße. Es war schon später Nachmittag, als wir loszogen. Und wir kamen nicht weiter als 20 Kilometer. Denn nach 20 Kilometern hatten wir unseren Schlafplatz gefunden. Dort, am höchsten Punkt der Straße, am Wendepunkt der schärfsten Kurve, dort, wo die Straße eine Felswand wie eine Tangente schnitt, ließen wir uns nieder. Direkt unter dem Highway war ein kleiner, geebneter Schotterplatz – wie für uns geschaffen. Wir schmissen unsere Rucksäcke herunter und sprangen nach. Da erstreckte sie sich vor uns: die Schönheit der Coromandel Halbinsel. Die untergehende Sonne warf ihren Schatten auf das Hügleland vor uns, das Meer umspülte weich die unzähligen Inseln, die wie schlafende Seekuhrücken ruhig dalagen, weiße Schafherden blühten im Grün wie Blüten auf. Momente wie diese öffnen dir dein Bewusstsein – und doch sind sie so surreal: wir sind in Neuseeland.