Bruce
Ruakaka – Russell
Kaum standen wir also wieder am Highway, dauerte es keine zwei Minuten und ein großer, grauer Toyota hielt. Der Fahrer hüpfte fast zeitgleich mit dem Anhalten des Autos auf den Seitenstreifen, um uns mit den Rucksäcken zu helfen. Er hieß Bruce, wie er uns sogleich mit einem festen Händedruck mitteilte und war direkt auf den Weg zu unserem heutigen Zielort Paihia.
Bruce war der Typ von Mann, den ich jeder Frau jeden Alters – alleinstehend oder nicht – empfehlen würde. Zwar mit kahlem Kopf, aber davon lenkten seine Augen ab. Sie lachten, ständig. Als ob ein kleines Männchen im Hinterstübchen sitzen und ihnen dauernd aus einem wahnsinnig gutem Witzebuch vorlesen würde. Trafen sich die Blicke, wurde man sofort angesteckt von dieser Wärme.
Eine Wärme, die sich im Bauch ausbreitete und mit einem lauten Lachen aus dem Körper ausbrechen wollte. Eine Wärme, die dich fühlen ließ, als wärst du der Protagonist eines 70ger Jahre Films, hättest gerade die neueste Designer Droge ausprobiert und nun drehst du dich wie da Vinci´s vitruvianischer Mensch, alle Viere von dir gestreckt, auf einer Drehscheibe im Kreis, während im Hintergrund mit schlechter knallbunter Kaleidoskop Computer Animation und poppiger Musik herumgebastelt wird, um die Weiten des Universums, in dem du dich befindest, darzustellen.
Ja, ich war angetan von dieser Begegnung. Bruce war – wie man so schön auf Englisch sagt: „bubbly“ – oder wie es in der Lösung eines Psychotests eines billigen Frauenmagazins ausgedrückt werden würde: „wie eine prickelnde Flasche Sekt – nein: Champagner!“ Und ich kann nicht sagen, wer glücklicher war: Rani und ich, weil wir trotz unseres Standpunktes in der 100km Zone so schnell eine direkte Fahrt bekommen haben. Oder er, weil er Unterhaltung hatte und neue Leute kennen lernen konnte.
Kein Touristenbus hätte uns die Fahrt so versüßen können, wie Bruce es tat: Wir fuhren ab von der Highway Route und uns wurden das Uhr-Museum in Whangarei, die Hundertwasser-Toilette in Kawakawa und die „Tankstelle, die die besten Orangen und Avocados verkauft“ gezeigt. Für jeden Ort, jede Landschaftsform, jedes Straßenschild hatte Bruce eine historische oder nicht historische Geschichte im Petto und wurde so zu unserem, ganz persönlichem, Reiseführer.
In Paihia angekommen, machte er mit uns auch dort eine kleine Stadtrundfahrt, nach der wir entscheiden könnten, ob wir lieber hier bleiben oder mit ihm nach Russell mit der Autofähre übersetzen wollten. Russell war seines Erachtens viel netter und nicht so touristisch. Und wir wollten. Er setzte uns in dem kleinen Fischerdörfchen ab, gab uns ein paar Insider-Tipps und seine Handynummer. Dann musste er uns verlassen, um Arbeiten an seinem Ferienhaus auszuführen.
Zweieinhalb Stunden später saßen Rani und ich wieder im kühlen Inneren des Toyotas und Bruce kutschierte uns über die Halbinsel hinter Russell bis zum Aussichtspunkt – ihm war bei den Arbeiten langweilig geworden. Danach lud er uns auf unser erstes neuseeländisches Bier ein und danach: in sein Ferienhaus. Weil wir zwei armen Mädels bis dahin noch keinen Schlafplatz gefunden hatten. Und er wollte uns ja schon früher das Angebot machen, aber seine Frau schimpft immer mit ihm, wenn er Fremde irgendwo aufgabelt und heimzerrt. Dabei guckte er treu und verliebt wie ein gezähmtes Einhorn.
Das Ferienhaus stand an einem steilen Abhang und bot einen Ausblick über die Bay of Islands, die besser als der Aussichtspunkt war: Kleine Inseln, die im schillernden Meer schwammen und zum Erkunden nur so einluden. Schiffe, Yachten und kleine Fischerboote, die das schimmernde Blau durchtrennten und kleine weiße Linien mit sich zogen. Seevögel, die ihre weiten Runden drehten und kreischend hinter den Fischkähne gierig auf Beute warteten. Das sollte unsere Bleibe für die Nacht werden. Danke, Hekate!