Kiwianische Weisheit
Wir verbrachten unsere erste Nacht unter dem Himmelszelt und als wir frühmorgens zerzaust aus dem Busch gekrochen kamen, waren wir heilfroh, nicht vom Ranger erwischt worden zu sein. Unser Lager hatten wir nämlich in einem öffentlichen Park aufgebaut – gut versteckt zwar, zwischen Flachsbüschel, toten Baumstämmen und kratzigem Gestrüpp (ich lasse die dort hausende Insektenwelt mal außer Acht), aber mit der möglichen Gnadenlosigkeit mancher Förster war nicht zu spaßen.
Oder es hätte sich auch der dort ansässige Maori Stamm klammheimlich anpirschen, uns an Händen und Füßen fesseln und uns wie Spanferkel an einem Spieß gebunden ihrem Häuptling vorbringen können…
Wir hatten von Tuten, Blasen und Neuseeland keine Ahnung – weswegen wir Land und Leute ja durch unsere Tramperreise wirklich kennen lernen wollten.
Wir hatten die erste Nacht im Busch also überlebt und machten uns nun guter Dinge wieder auf den Weg zur Straße. Immer gen Norden, war der Plan. Und nicht zu schnell, denn wir hatten alle Zeit der Welt. Unser nächstes Ziel lag keine 50 km vom derzeitigen Standort entfernt: Pakiri Beach wurde uns als sehr schöner Strand ans Herz gelegt – das wollten wir uns natürlich nicht entgehen lassen.
Greg, gerade auf dem Weg zu seinem Immobilienmakler, um sich ein Ferienhaus anzueignen, brachte uns bis über den Ort hinaus, den unser Pappkarton noch von gestern anzeigte. Wir mussten also neu beschriften, zückten gerade Filzer und Karton, als ein fetter schwarzer Jeep direkt vor uns hielt. Insassen waren Dave und seine 19-Jährige Tochter Grace. Vater hatte Kind gerade von Auckland abgeholt – sie war die Nacht, die wir bei dröhnenden Wellen und Mücken verbracht haben, feiern und sehr verkatert – was ihre Gesprächslust aber nicht minderte. Fröhlich plapperten die beiden drauf los und nach 5 Minuten Fahrt auf Ledersitzen waren wir um eine Einladung, zwei Telefonnummern und eine Weisheit reicher, die uns die ganze Reise lang verfolgen sollte: „We Kiwis are laid back, ae.“ – Aha. Deswegen also keine rabiate Ranger- Attacke letzte Nacht.
Die beiden fuhren uns weiter als sie eigentlich mussten und mit „PA“ auf unserem Pappkarton kamen wir Richtung Pakiri Beach. Wir verabschiedeten uns mit dem Versprechen, ihnen morgen auf dem Rückweg einen Besuch abzustatten. Dann verschwand der schwarze Jeep mit seinen zwei grinsenden Gesichtern über den Hügel und Camelle tauchte auf. Camelle ist Kanadierin, selbst auf Reisen und fuhr wie eine Verrückte. Sie holperte über Bordsteinkanten, kam beim Abbiegen auf die falsche Spur, schwankte daraufhin panisch frontal wieder auf die richtige Straßenseite und fuhr sowieso nur dorthin, wo sie ihren Blick hinrichtete.
Das wurde brenzlig, als wir auf eine schmale Schotterstraße kamen, die von wunderschöner, reiner Natur umgeben war. Und Camelle war sehr angetan von neuseeländischer Landschaft – sonst wäre sie ja nicht hier, wie sie uns mit leuchtenden Augen erklärte, während sie auf den nächsten cabbage tree zuraste, weil ihr Blick während ihrer Rede an mich geheftet war. Aber sie brachte uns heil nach Pakiri Beach und wir schwankten, unsere Mägen haltend, Richtung Meer, während Camelle versuchte, auf der engen Straße hinter uns zu wenden…