Wie Ex-Knackis feiern
Doch wir kamen am nächsten Tag ohne Brats Hilfe zurück in die Zivilisation und schafften es sogar noch weiter bis zum Strand von Waipu. Wobei wir unter sengender Hitze gefühlte zwei Stunden durch Whangarei latschen und dann, nachdem uns von dort das erste Auto mitgenommen hatte, diesem etwa 200 Meter am Seitenstreifen nachrennen mussten, weil wir unser Zelt beim Aussteigen im Innenraum vergessen hatten.
Wir verbrachten also den Rest des Tages im und am Meer, um uns von diesen Strapazen zu erholen. Als die Sonne sich der Erde neigte, wurden Frottetücher, Frisbees und Wasserbälle zusammengepackt. Das Gewusel um uns verschwand wie nachtscheue Tiere. Zurück blieben Rani, ich und drei Maori Kerle, die hinter uns in ihrem weißen Pick-Up zu laut aufgedrehter Gangster-Musik tranken. Wir hatten unseren Schlafplatz schon angepeilt – während des Tages bereits ausspioniert. Wollten aber warten, bis wir uns ungestört über den kleinen Priel in die bewachsenen Dünen schleichen könnten. Doch man durchschaute uns. Einer der Kerle kam lässig auf uns zugeschlendert, ließ sich neben uns ins Gras plumpsen und stellte mit einem kurzen Könnerblick fest, dass wir hier nächtigen wollten. Er zauberte zwei weitere Flaschen aus den Tiefen seiner Baggyhose und rollte sie schwungvoll zu uns herüber. Dann meinte er, wir können auch bei ihm zu Hause übernachten.
Kurz darauf saßen Rani und ich mit Tommy und seinen „couz´“ im weißen Pick-Up zu laut aufgedrehter Gangster-Musik und tranken. Auf der Fahrt zu Tommys Haus erfuhren wir alles, was wir wissen sollten: Tommy war ein Ex-Knacki, hatte wegen Trunkenheit am Steuer außerdem keinen Führerschein mehr (fuhr aber trotzdem mit Flasche in der Hand), früherer Drogen-Dealer, auf lebenslänglich wegen Ausreiseverbot in Neuseeland festgenagelt, Vater eines 3-jährigen Sohnes, Arbeiter bei einer Försterei. Ach ja, und er verdiente nebenbei 90 $ die Stunde als Surflehrer. Wenn wir seinen Abwasch erledigten, würde er uns das Surfen auch umsonst beibringen. Und er garantierte uns, dass wir nach 30 Minuten standfest auf dem Brett wären.
Sein „Haus“ war eine von ihm selbst ausgebaute, alte Maschinenhalle, ehemals zu der Ölraffinerie von Ruakaka zugehörig. Mitten im kahlen Industriegelände lag die Halle wie eine Schachtel auf grauem Kies. Vom Highway trennte den Kasten etwa 5 Schritte und ein zwei Meter hoher Drahtzaun – mit schwerem Eisenschloss am Tor. Vielleicht fühlte sich Tommy in Gefängnissen schon so wohl, dass er sein Zuhause ähnlich einrichtete. Für das Innere der Halle war „ausgebaut“ übertrieben. Es gab in dem hohen Raum neben Motorsägen, Motorrädern, Motoröl und sonstigem Motorzubehör einen Kühlschrank für Bier, eine Mikrowelle für Tiefkühlgerichte, einen Tisch zum koksen, zwei Couchen zum fläzen, ein Gewürzregal für Gemütlichkeit, eine Magnettafel für Kritzeleien – und ein Gebirge aus Geschirr. Für Luise und Rani. Deal war Deal. Dafür würden wir das Surfen lernen! Aber zuerst wurde in dem Schuppen gemäß eines Ex-Drogen-Dealers und eines Führerscheinlosen zwecks Alkohol mit seinen Kumpanen gefeiert…
Schon mal an einem Katertag mit einer Klobürste, in einem etwa kniehohen, handbreitem Waschbecken, ohne Warmwasser, drei Wochen altes schimmelndes, faulendes, rostendes, stinkenes, schon Kulturen bildendes Geschirr drei Stunden lang versucht sauber zu bekommen?
Und dafür nicht mal Surfen gelernt, weil Aiolos, der Gott des Windes, sich entschieden hatte, gerade heute keinen einzigen Atemzug zu tun?
Dafür aber mit einem Ex-Gefängnis-Insassen und seinen Kumpels zwei Nächte gefeiert?
Nun ja – so schnell wird mir solch ein Erlebnis auch nicht mehr unterkommen.